Biografie
Rosa von Praunheim, geboren am 25. November 1942 in Riga zur Zeit der deutschen Besatzung unter dem bürgerlichen Namen Holger Radtke, aufgewachsen bei Adoptiveltern in Berlin (Ost) unter dem Namen Holger Bernhard Bruno Mischwitzky. Nach der Flucht in den Westen im Jahr 1953 lebt die Familie zunächst im Rheinland und lässt sich schließlich im Frankfurt am Main nieder. Hier besucht von Praunheim ein Humanistisches Gymnasium, das er allerdings schon nach Abschluss der Mittleren Reife verlässt. Er nimmt ein Studium im Fachbereich "Freie Malerei" an der Offenbacher Werkkunstschule (heute: Hochschule für Gestaltung – HfG) auf, wechselt nach einem Jahr an die Hochschule für Bildende Künste in Berlin. Beide Studiengänge beendet er ohne Abschluss. Zu dieser Zeit, Mitte der sechziger Jahre, nimmt er seinen Künstlernamen an, den er als Reminiszenz an sein Frankfurter Viertel Praunheim und an den "Rosa Winkel" versteht – das Symbol, mit dem während des Dritten Reichs Homosexuelle in Konzentrationslagern gekennzeichnet wurden.
Im Jahr 1967 gibt Rosa von Praunheim sein Filmdebüt mit dem Kurzfilm "Von Rosa von Praunheim", den er an den Hessischen Rundfunk verkaufen und somit weitere Filmprojekte finanzieren kann. Bis Ende der sechziger Jahre dreht er Kurz- und Experimentalfilme wie "Grotesk – Burlesk, Pittoresk" (1968), "Schwestern der Revolution" (1969) und "Samuel Beckett"(1969). Sein Langfilmdebüt, die mit absoluten Laiendarstellern und praktisch ohne Budget gedrehte Beziehungsgeschichte "Die Bettwurst" (1970) avanciert binnen kurzer Zeit zu einem Kultfilm. Im gleichen Jahr erregt er mit dem Dokumentarfilm "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation in der er lebt" großes Aufsehen weit über die Schwulenszene hinaus – praktisch über Nacht steigt von Praunheim zu einer Ikone der deutschen Schwulenbewegung auf, die durch seinen Film einen regelrechten Aufschwung erlebt.
In den kommenden Jahren werden Rosa von Praunheims Spiel- und Dokumentarfilme von drei thematischen Bereichen geprägt: die Lebenswege vitaler, älterer Frauen (etwa in "Unsere Leichen leben noch", 1981), Homosexualität und Aids ("Ein Virus kennt keine Moral", 1985) und die Stadt New York ("Überleben in New York", 1989). 1991 sorgt er mit seiner "Outing"-Kampagne für einen Skandal: In der medienwirksamen Aktion "outet" von Praunheim Prominente, die ihre Homosexualität geheim hielten. Mit der moralisch fragwürdigen Aktion will er nach eigener Aussage auf die vernachlässigte Aids-Problematik sowie bürgerliche Doppelmoral aufmerksam machen.
Neben skurrilen, postmodern anmutenden Spielfilmen wie "Der Einstein des Sex" (1999) wendet von Praunheim sich seit den neunziger Jahren in erster Linie (semi-)dokumentarischen Pojekten zu. Vorwiegendes Thema sind auch hier die verschiedenen Facetten homosexuellen Lebens, von "Ich bin meine eigene Frau" (1992) über die Geschichte der deutschen Transvestiten-Bewegung im 20. Jahrhundert, über "Männer, Helden, schwule Nazis" (2005) über homosexuelle Rechtsradikale bis hin zu "Tote Schwule – lebende Lesben" (2008), in dem er die Vision einer von Frauen regierten Subkultur und damit eine Geschichte der Homosexualität und ihrer Unterdrückung entwirft, die er neu gewichtet.
Erst im Jahr 2000 erfährt von Praunheim, dass er ein Adoptivkind ist. Nach dem Tod seiner Ziehmutter beginnt er im Jahr 2003 mit einer intensiven Recherche über seine Herkunft, die er in dem überaus persönlichen Film "Meine Mütter – Spurensuche in Riga" (2007) dokumentiert.
In den folgenden Jahren realisiert Praunheim weitere Dokumentationen, die sich zumeist auf unterschiedliche Weise mit dem Themenkomplex Homosexualität beschäftigen, so etwa "Rosas Höllenfahrt" (2009), eine Geschichte der "Hölle" aus schwuler Perspektive, oder "Die Jungs vom Bahnhof Zoo" (2011), der einen klischee- und vorurteilsfreien Blick auf das Leben von fünf jungen Berliner Strichern wirft.
Wie viele seiner Filme feiert 2012 auch "König des Comics" im Panorama der Berlinale Premiere. Darin porträtiert von Praunheim den schwulen Comic-Künstler Ralf König ("Der bewegte Mann").
Zu von Praunheims siebzigstem Geburtstag strahlt der Fernsehsender RBB in Zusammenarbeit mit Arte unter dem Titel "Rosas Welt" in der Nacht vom 24. auf den 25. November 2012 eine Kurzfilmreihe des Filmemachers aus, die eine Gesamtlänge von 700 Minuten hat – ein Novum, denn nie zuvor wurde einem einzelnen Dokumentarfilmer im deutschen Fernsehen soviel Sendezeit am Stück zur Verfügung gestellt. Die Reihe der meist 20-minütigen Filme besteht aus Portraits, etwa über Eva Mattes und Werner Schroeter, aber auch über nicht prominente Menschen und Familien.
Auch in den folgenden Jahren bleibt Rosa von Praunheim ein unermüdlicher Filmemacher: Bei den Lichter Filmtagen Frankfurt 2014 feiert sein Dokumentarfilm "Praunheim Memoires" Premiere, in dem er sich auf eine Spurenssuche zu den Stationen seines eigenen Lebens begibt. In "Auf der Suche nach Heilern", der beim DOK.fest München 2014 uraufgeführt wird, dokumentiert er seine persönlichen Erfahrungen mit Wunderheilern aller Art. Im Dezember 2014 startet "Laura - Das Juwel von Stuttgart" in ausgewählten Kinos, ein Dokumentarfilm über die sozial engagierte Betreiberin eines der ältesten Schwulenclubs Deutschlands.
Im Panorama der Berlinale 2015 stellt Rosa von Praunheim "Härte" vor, einen dokumentarischen Spielfilm über das Leben des ehemaligen Karate-Champions und einstigen Zuhälters Andreas Marquardt, der als Kind vom Vater schwer misshandelt und von der Mutter sexuell missbraucht wurde. Im April 2015 startet der Film in den deutschen Kinos. Ebenfalls 2015 wird Rosa von Praunheim mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt.
Bei den Hofer Filmtagen 2015 stellt er den Kurz-Dokumentarfilm "Flüchtlinge, zu viel?" vor, in dem zwei Bürger mit Migrationshintergrund ihre unterschiedlichen Meinungen in der Flüchtlingsfrage darlegen. Auf der Berlinale 2016 zeigt von Praunheim "Welcome All Sexes: 30 Jahre Teddy Awards" (2016), eine Dokumentation über die Geschichte des schwul-lesbischen Filmpreises der Panorama-Sektion.
Gut ein Jahr später, im April 2017, wird beim Achtung Berlin Festival "ACT! - Wer bin ich?" uraufgeführt, ein Dokumentarfilm über die pädagogische Theaterarbeit des Berliner Vereins ACT, der mit Problemschülern Bühnenstücke inszeniert. Der Film erhält den New Berlin Film Award und startet im Juni 2017 regulär in den Kinos. Im gleichen Monat feiert beim Münchner Filmfest bereits von Praunheims nächster Dokumentarfilm Premiere, "Überleben in Neukölln" (2017), in dem das Leben und der Alltag im Berliner "Problembezirk" Neukölln unter verschiedenen Gesichtspunkten beleuchtet wird.
Ebenfalls 2017 gratuliert Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier Rosa von Praunheim in Form einer öffentlichen Danksagung zum 75. Geburtstag. Im gleichen Jahr erscheint sein autobiografisches Lehrbuch "Wie wird man reich und berühmt?".
"Männerfreundschaften" (2018), ein Dokumentarfilm mit Spielfilmszenen über die Sexualität Johann Wolfgang von Goethes, wird beim Lichter Filmfest Frankfurt als Bester Langfilm ausgezeichnet. 2019 erhält von Praunheim bei dem bedeutenden schwullesbischen Pink Apple Festival in Zürich einen Preis für sein Lebenswerk. Im Januar 2020 würdigt auch das Filmfestival Max Ophüls Preis ihn mit einem Ehrenpreis. Kurz darauf startet sein nächster Spielfilm in den Kinos: "Darkroom" (2019), nach dem realen Fall eines Krankenpflegers, der in Schwulenclubs mit anderen Männern anbändelte und sie mit einer Überdosis k.o.-Tropfen tötete und ausraubte.
Neben seiner Tätigkeit als Filmemacher arbeitet Rosa von Praunheim seit den sechziger Jahren auch als Sachbuchautor, Dichter und Schriftsteller. Bis 2006 war er als Dozent für Filmregie an der Hochschule für Fernsehen und Film in Potsdam tätig.
Rosa von Praunheim lebt in Berlin.